
Recht spontan entschloss ich mich, mit dem Bus von Jerusalem nach Nazareth zu fahren, um von dort aus am nächsten Tag die erste Etappe des Jesus Trail zu wandern. Das Wetter und meine verfügbare Zeit ermöglichten mir leider nicht die Option, den gesamten Weg von 65 km bis zum See Genezareth in 4 Etappen zu gehen.
Für den Anfang war es Abenteuer genug! Allein in Palästina unterwegs zu sein, mit schlechtem Orientierungsvermögen und Kartenmaterial in Prospekt Maßstab. Ich suchte meine Herausforderung!

Der jungen, unverheirateten Maria aus Nazareth erschien der Erzengel Gabriel und verkündete Ihr, dass sie Gottes Sohn gebären würde. Auf dem Weg zu meinem Hostel für die erste Nacht laufe ich an der Verkündigungsbasilika vorbei. Die Kirche besitzt eine spannende, moderne Holzkonstruktion, die sie in eine Ober und Unterkirche teilt. Sie wurde in den Sechziger Jahren gebaut und ist bereits die fünfte Kirche an dieser Stelle. Eine lange Schlange Touristen schiebt sich an der Verkündigungsgrotte vorbei. Ich gebe zu, ich halte aus gegebenen Anlass ein wenig Abstand zu den Chinesen, die Marias Wohnstätte ausgiebig fotografieren. Nebenan soll sich angeblich Josefs Zimmermannswerkstatt befunden haben und hier wuchs Jesus auf.

Weiter gehts durch verwunschene uralte Gassen den Berg rauf ins alte arabische Viertel. Nachdem es gerade noch von Touristen nur so wimmelte, sind die Wege plötzlich menschenleer. Ich verirre mich und mache eine Trinkpause an einer Mauer (Foto s.o.) und orientiere mich. Kurz darauf falle ich glücklich auf das Bett in meiner muslimischen Herberge. Angekommen!

Leider gibt es in meiner Unterkunft kein Abendessen. Kurz vor der Dämmerung mache ich mich erneut auf den Weg und finde viele Restaurants und Geschäfte, alle geschlossen! Irritiert frage ich mich, warum hier am Sonntag alles ausgestorben ist. Zum Freitagsgebet kommen die Muslime doch zusammen…Oder leben in Nazareth so viele arabische Christen, das hier der Sonntag ein Ruhetag ist? Immer wieder muss ich mein Schubladendenken korrigieren. Ein Araber ist natürlich nicht zwangsläufig ein Moslem. Im Gegenteil! Die Verehrung von JesusChristus und der Mutter Maria ist hier wirklich unübersehbar. Und spürbar! Nach langer Suche finde ich ein KFC Fast Food Restaurant, weit weg von meinem Viertel. Die Schlange der arabischen Familien, die am Sonntag alle fein gekleidet sind, ist lang. Ich warte geduldig mit ihnen eine gute Stunde, bis ich an der Reihe bin. Währenddessen kommen wir ein bisschen ins Gespräch. Das Restaurant ist gerade neu eröffnet worden und hat darum einen solchen Ansturm. Inzwischen ist es dunkel und ich habe Sorge, ob ich mein Hostel wiederfinden werde. Am Feiertag gäbe es hier keine Taxis, erklärt mir ein sympathischer Palästinenser, der die VW Werkstatt in Nazareth gemeinsam mit seinem Vater managt. Er bot mir an, mich zum Hostel zu fahren. Erleichtert nahm ich sein Angebot an. Er verfuhr sich ein paar Mal, doch schließlich setzte er mich vor der Tür ab und wünschte mir alles Gute für meinen Weg. Sein Essen war jetzt sicher kalt. Ich war glücklich und verwirrt über so viel erfahrene Freundlichkeit.
Am nächsten Morgen ging’s los! Über Zippori und Mash‘had nach Cana! So mein Plan… Schnaufend erklomm ich die unendlich vielen Stufen in der Altstadt und freute mich über die Orange/ Weissen Zeichen an den Mauern. Das sind die Wegweiser für den Jesus Trail. Schließlich kam ich an einer großen Kreuzung an und fand keine Wegweiser mehr. Ich fragte in einem Geschäft danach und eine palästinensische Kundin bot mir an, mich mit ihrem Auto nach Zippori zu fahren. Sie war der Ansicht, das ich die 10 km auf keinen Fall laufen solle. Viel zu weit! Ich wagte gar nicht, ihr zu sagen, das ich noch weiter will.
Ich irrte an Schnellstraßen entlang, ging über Schutthalden und Baustellen. Es war verdammt schwer, aus Nazareth herauszufinden. Dazu muss man wissen, das es längst kein idyllisches Dörfchen mehr ist, sondern die größte arabische Stadt Israels. Endlich fand ich sie wieder, die Orange Weißen Zeichen! Und mit ihnen die ersehnte Natur! Eine Quelle, Olivenbaum Wälder, Anemonen Wiesen und weite Blicke. Ich machte eine Trinkpause, als ich hinter mir ein Schnaufen hörte. Eine kleine Herde wilder Pferde kam neugierig auf mich zu.

Schließlich erreichte ich Zippori oder auch Sepphoris, wo ich die Mona Lisa von Gallilä als Mosaik bewunderte.
Der Weg wurde immer schöner und ich lief fröhlich circa 6 km in die falsche Richtung. Mein vermeintliches Ziel stellte sich als eine jüdische Siedlung namens Zippori Village heraus, wo es einfach nicht mehr weiterging. Also umkehren, gerade noch rechtzeitig. Ich dachte an einen lieben Menschen, der mir den Rat mit auf den Weg gab, nicht im Dunkeln zu laufen. Der Blick auf die Uhr sagte mir, das ich mich sputen muss.

Auf dem Rückweg standen plötzlich freilaufende Bullen auf meinem Weg, an denen ich schlotternd vorbeiging.

Schließlich erreichte ich die arabische Stadt Mash‘had, in deren Moschee der Legende nach die Gebeine Jonah aufgebahrt sind.
In der Abendsonne sah ich mein Ziel, die Stadt Kana.

Lange hatte ich keine Menschenseele getroffen. Nun lief ich wieder durch die Gassen der Städte und die arabischen Kinder winkten mir freundlich zu und die älteren grüßten mich mit Shalom! Warum Shalom? Warum nicht Marhaba? Weil sie glauben, Du seist eine Jüdin, erklärt mir später Sami von meinem Wedding guest house. Er ist arabischer Christ und stolzer Vater von 8 Kindern und Großvater von 22 Enkelkindern.

Mit Tee und süßem Brot zum Stippen werde ich von Samis Frau im guesthouse erwartet. Ich bin völlig k.o., kann kaum noch laufen und war selten so stolz auf mich.
Nach dem Abendessen, was mir hier freundlicherweise angeboten wird, sitzen Sami und ich noch eine Weile auf seiner Dachterrasse. Unmittelbar vor uns steht die Hochzeitskirche, in der Jesus Wasser zu Wein verwandelt hat. Sami raucht seine Shisha, ich trinke ein Glas guten Rotwein.


Liebe Nicole, eine spannende und schöne Beschreibung😉vielen Dank. Ich bewundere Ihren Mut👍weiterhin alles Gute und interessante Erkundungstouren.
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